Nothing personal_mausmannsland

 

Soll der Titel in die Irre führen? Private Kindheitsfotos, Familienbilder, verwoben und verfremdet in intimen Fantasien – nichts Persönliches? Sollen wir’s nicht ernst nehmen, nicht persönlich nehmen, falls uns der Künstler zu nahe tritt? Schützt er uns? Oder will sich der Künstler schützen?

Fragt man Herbert Nauderer selbst, gibt er vor, seine Figuren zu schützen. Diese erleiden in den Zeichnungen und Fotobearbeitungen immer wieder seltsame Unfälle und Verletzungen - z.B. ist eine überdimensionierte Wurst in das Gesicht einer Frau gerammt, oder der „Mausmann“ wird in einer Videoarbeit von einer schwarzen, klebrigen Masse verschluckt. Wer, wenn nicht der Künstler selbst, ist für die Misshandlungen der Figuren verantwortlich? Der Titel nothing personal richte sich vor allem an seine Figuren, erklärt Herbert Nauderer, fast wie eine Entschuldigung des Schaffenden an seine Kreaturen, sie sollen ihr Schicksal bitte nicht persönlich nehmen. Sollten wir unser eigenes Schicksal nicht zu persönlich nehmen, dabei aber einen scharfen Blick für die Absurditäten des Lebens behalten? Oder steht dahinter der Gedanke, je persönlicher die Kunst, umso universeller die Wirkung?

Nothing personal ist ein Zyklus von Zeichnungen, Bildbearbeitungen und Videos, die sich zu einer Rauminstallation zusammenfügen. Erfundenes, Gefundenes, Autobiografisches vermischen sich zu mysteriösen Bildern und Szenen, wie in einer nicht endenden Traumsequenz. Der Betrachter taucht in eine unheimliche Parallelwelt ein.

Der Untertitel Mausmannsland verweist auf eine Figur, die in den Arbeiten immer wieder auftaucht: der schwarz maskierte Mausmann. Ein Alter Ego des Künstlers? Die Maske erinnert an die Silhouette der Micky Mouse, nur hat die Mausmaske nichts Heiteres. Im Gegenteil, der bunte Disney-Optimismus wird bildlich in schwarzer Tinte ertränkt. Der Mausmann selbst erscheint meist nackt, nur mit einer unförmigen Unterhose bekleidet. Er wirkt verletzlich und ausgeliefert. Er berührt in seinem aussichtlosen Kampf, sich aus seinem Schlamassel zu befreien. Mausmanns Gesicht bleibt immer hinter der Maske verborgen. Als dürfe er seine Identität nicht preisgeben. Als wolle er seine Individualität überwinden. Mausmann steht für den Menschen an sich, für sein Sehnen und sein Scheitern, in einem ständigen Kreislauf.

Annika Tepelmann

 
Der Ahnenbaum der Maus, davon ist heute leider kaum noch die Rede, ragt in den Götterhimmel. Dem griechischen Bildhauer Skopas, mit Praxitiles der berühmteste seiner Zunft, war das Tier so wichtig, dass er es Apoll an die Seite stellte. Näher an Zeus waren wenige. Und als Skopas für den Statthalter Mausoleus ein Grabmal schuf, wurde im Fries mit besonderer Sorgfalt der Maus gedacht, schließlich war sie eine der Erscheinungsformen der Seele. Ihre Gestalt und ihre Anmut wurden gewürdigt – und selbst ihr Geruch erhielt eine besondere Auszeichnung. Das einschlägige Wort „Blitzgestank“ bezieht sich auf kosmisches Geschehen, auf das Ozon, das sich nach einem heftigen Gewitter flüchtig ausbreitet.

Flüchtig wie die kleinen Münzen, auf denen sie damals abgebildet war, um den Gedanken der Wirtschaft symbolisch mit dem Heiligen, dem Numinosen zu verbinden. Ein Wortspiel, das weit über die Antike heraus wirkt. Etwa in den Mäuseturm, der vielleicht ein Mautturm, also ein bewaffnetes Zollamt war, vielleicht aber auch das Denkmal für einen gnadenlosen Bischof, der sich weigerte, seine hungernden Diözese an den Schätzen seines Getreidespeichers teilhaben zu lassen. So etwas soll sich im spätmittelalterlichen Mainz zugetragen haben, wo die Mäuse zu den Rächern der Verhungerten wurden und den unbarmherzigen Kirchenfürsten zu Tode nagten.

So finden wir die Maus auf der Seite der Gerechtigkeit, doch auch in der Gestalt des Unberechenbaren, des Finsteren, sagen wir es getrost schärfer: Des Teuflischen.

„Statt des Teufels sprang aber aus dem Feuer ein Mäuslein hervor ...“ heißt es im Märchen, wenig später muss ein Graf diesem Mäuslein bei Eintreten des Todes seine Seele versprechen – und tatsächlich hören wir nicht lange danach vor der gräflichen Sterbekammer ein bedrohliches Raspern.

Wer sich einmal auf das Thema „Maus“ eingelassen hat, dem droht mithin eine Bilderfülle, die vom Erhabenen bis ins Furioso der Panik reicht. Niedlich gilt da nicht

Nichts kann daher gelegener kommen als die virtuos visionär visuelle Aufklärung von Herbert Nauderer. Er macht aus der Maus wieder das, was sie ist: Eine Gestalt wie Du und ich. Eine Genossin, einen Genossen unserer Zeit, wenn denn das Wort „unser“ auch meine Generation einbezieht. Selbstverständlich ist das mehr Drohung als Entwarnung. Man weiß ja nie, um was es der Maus geht: Einbeziehung in das Göttliche, kleine Münze, kosmischer Geruch, Rache – oder doch Teilhabe an einem großen, uns anderen Sterblichen leider noch nicht entdeckten Plan.

„Die besten Pläne

von Mäusen und Menschen

gehen oft daneben ...“

heißt es in dem berühmten Gedicht von Robert Burns, das schon deshalb bewegend unverständlich ist, weil es im härtesten schottischen Dialekt verfasst wurde.Auch Herbert Nauderer ist Bewohner eines europäischen Hochlandes . Doch die bewegenden Rätsel seiner anrührenden Bilder sind sehr viel eindeutiger als die Verschleierungen durch Volkstümliches. Wir reden über eine gemeinsame, eine deutsche Geschichte, nein, wir lesen, wir sehen eine gemeinsame, eine durch künstlerische Hand den Herzschlag bewegende Erzählung.Vielleicht. hoffentlich ist das ja nicht das geringste Lob: Eine Erzählung sehen zu können. Skopas und Praxiteles taten sich da schwer. Obwohl auch ihnen die Maus Modell stand.

©Tilman Spengler, Juni 2014

 

The family tree of the mouse, regrettably little regarded today, soars to the heavens. The Greek sculptor Scopas, together with Praxiteles one of the most famous of his guild, found the mouse so important that he placed it at Apollo’s side. There were very few who came closer to Zeus. When Scopas designed a tomb for the governor Mausoleo, the depiction of the mouse was done with great care; after all, it is a manifestation of the soul. Its form and grace were valued highly – even its smell was accorded particular accolades. The pertinent word “blitzgestank” (lightning stink) refers to a cosmic occurrence, to the ozone that disperses fleetingly after a heavy thunderstorm.
As fleeting as the little coins on which the image of a mouse was struck in order to couple economic ideas symbolically with the sacred, the numinous. A play on words which still speaks to us from far antiquity. Such as in the Mouse Tower which might have been a toll tower, that is, an armed customs office, but also might have been a monument to a ruthless bishop who refused to share the treasure of his grain stores with his starving diocese. Something like this is supposed to have taken place in late-medieval Mainz when the mice became the avengers of those who starved and gnawed the cruel bishop to death.
So we find the mouse on the side of righteousness but also in the figure of the unpredictable, the sinister. Or let us not beat about the bush: the devilish.
“Instead of the Devil, a mouse sprang out of the fire…” as the fairy tale tells us. Later, a count must promise the mouse his soul when he dies – and indeed, not long afterwards, we hear a sinister gnawing noise from the count’s chamber.Whosoever has been involved with the subject “mouse” is threatened with a plethora of images that range from the sublime to a furioso of panic. Cute is not valid here.
Nothing is then more welcome that the virtuous, visionary and visual elucidation of Herbert Nauderer. He returns the mouse to what it is: A figure like you and me. A comrade, a comrade of our times, at least when the word “our” includes my generation too. Of course, this is more of a threat than an all-clear. One can never know what the mouse is up to. Inclusion in the divine; small coins; strange smell; revenge – or perhaps after all participation in a great plan still to be discovered by us other mortals.
“The best-laid schemes o’ mice an’ men gang aft agley…”
as Robert Burns tells us in his famous poem “To a mouse” which is touchingly unintelligible because it is written in the strongest Scots dialect.
Herbert Nauderer also inhabits a European highland. However, the touching riddles in his emotive pictures are much more unambiguous than obfuscation through folklore. We are talking about a mutual, a German story; no, we read, we see a mutual narrative - heart-moving through the artistic hand behind it.
Perhaps. One hopes this is not the faintest praise: To be able to see a story. Scopas and Praxiteles had a harder time with this. Even though the mouse stood model for them too.
 
©Tilman Spengler, June 2014